Am 19. Oktober fanden sich die Abschlussklassen der Realschule der Georg-August-Zinn-Schule Reichelsheim (GAZ) zusammen, um sich von Altbürgermeister Gerd Lode über Juden in Reichelsheim informieren zu lassen. Und man erfuhr vieles: Von den Anfängen der jüdischen Bevölkerung im Odenwald, nach dem dreißigjährigen Krieg vom Grafen zu Erbach vor allem aus Wien und der Schweiz eingeladen, um die fast menschenleere Region wieder zu bevölkern und zu bebauen. Nur 10 Prozent der Bevölkerung hatte Krieg und Pest überlebt. Es war dann ein späterer Nachkomme dieses Grafen, der bei der Schinderei und der Vertreibung der Juden aus Reichelsheim dabei war, drei Jahrhunderte später. Die Schüler hörten, dass die Familien ihre Kinder nach England und in die USA geschickt haben, damit diese wenigstens überleben. Und es waren diese Kinder, die später von Gerd Lode als Bürgermeister willkommen geheißen wurden. Ab den 1990er Jahren besuchten sie ihren Herkunftsort, sprachen das alte „Odenwälderisch“, redeten mit ehemaligen Nachbarn, tauschten sich aus und gingen auf den Friedhof zu ihren Vorfahren.
Gerd Lode wurde gefragt, wie er diese Begegnungen als Deutscher erlebt hat. „Sie sagten, wir wollen uns versöhnen - aber vergeben können wir nicht.“ Es war für alle zu spüren, wie dankbar Gerd Lode für die versöhnenden Begegnungen war - und dass etwas bleibt, was nicht zu heilen ist.
Besonders eindrücklich war sein Bericht von der Reichspogromnacht 1938. Sein Großvater hatte im Ersten Weltkrieg ein Auge und ein Bein verloren. Er sah, wie die SA Reichelsheimer Juden dazu zwang, um das brennende Inventar der Synagoge zu tanzen, während deren Tora-Rollen verbrannt wurden. Er drohte mit seiner Krücke und rief: „Der Herrgott wird Euch dafür strafen.“ Die SA-Leute gaben zurück, er solle als „Krippel“ seinen Mund halten, sonst würde er auch um das Feuer tanzen.
Anschließend gingen die Schüler zusammen mit ihren Lehrern auf den jüdischen Friedhof. Manche Jungs setzten sich die Kippa auf, es wurde nicht gefordert, es war freiwillig. Konzentriert, mit Obacht und Andacht gingen sie zwischen den Gräbern, sahen sich die hebräischen Schriftzeichen an, fragten leise nach den Namen, lernten, dass Juden Steine auf die Grabmäler legen, wenn sie ihre Toten besuchen.
Organisiert hatte die Veranstaltung Angelika Linsin, die auch das Motto zusammen mit ihren Schülern für diesen Vormittag ausgewählt hat. Es stammt von dem spanischen Philosophen George Santayana: „Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.“ Und woran zeigt es sich, dass man aus der Geschichte gelernt hat? „Daran, dass man sich heute für Gerechtigkeit und gegen Antisemitismus einsetzt“. 

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